Schaut man sich ein Hühnerei an, erkennt man anhand seiner Geometrie die Manifestation der Dualität. In Richtung seiner Symmetrie-, bzw. Rotationsachse – also „von oben betrachtet“ – erkennt man einen perfekten Kreis. Schaut man es sich aber senkrecht zur Rotationsachse an, also sozusagen „von der Seite“, sieht man die wohlbekannte, typische Ei-Form. Aber auch hier zeigen sich wieder genau zwei Aspekte: ein stumpf gewölbtes Ende, und ein spitz gewölbtes Ende. Dabei ist seine natürliche Ruhelage genau so wie hier abgebildet, mit dem spitzes Ende nach unten zeigend. Auch wenn es nahezu ausnahmslos andersherum, also „auf dem Kopf“ stehend, dargestellt wird.
Jeder der schon mal Eier gekocht hat und dabei die Schale ansticht, damit das Ei beim Kochen nicht platzt, hat es mit Sicherheit am stumpfen Ende gemacht, weil sich dort die Luftblase befindet. Luft steigt in Flüssigkeiten nämlich immer nach oben!
Schaut man sich nun ein Ei in seiner Ruhelage an, lässt sich mit seiner Form ein kleines Gedankenexperiment ausführen. Dabei soll es um die Frage gehen: wie würde wohl eine „offene“ Ei-Form aussehen, wenn also die Wölbung der unteren Hälfte nach außen, statt nach innen laufen würde? Einfacher ausgedrückt: was für eine Form ergibt sich, wenn man die unteren beiden „Quadranten“ der folgenden Abbildung von rechts nach links, bzw. von links nach rechts, vertauscht – wie hier durch den doppelten Pfeil angedeutet?
Wenn man das mit einem kleinen Zeichenprogramm einfach mal ausführt, kommt man auf die folgende Silhouette…
Es bedarf wohl nicht viel Phantasie um in diesem neuen Linienverlauf die Ähnlichkeit zur Grundform einer Kirchenglocke zu erkennen. Was für ein Zufall…
Wenn man an den Klang von Kirchenglocken denkt, gibt es neben ihrem besonderen Ton vor allem einen speziellen, und ziemlich einmaligen Effekt, den man von sonst keinem Instrument kennt: ist die Glocke einmal angeschlagen worden, dann hallt ihr Ton, bzw. ihre Eigenschwingung noch besonders lange nach. Es dauert mehrere Minuten bis eine Glocke wieder völlig verstummt ist. Natürlich kommt es dabei auch auf das Material der Glocke an, das auf jeden Fall grundsätzlich schwingungsfähig sein muss. Es ergibt sich dann aus der Kombination mit der Form der charakteristische Klang, die Schwingungsfähigkeit – in Verbindung mit den von der „Form bedingten“ Obertönen. Mit der Größe der Glocke ergibt sich schließlich ihre Tonhöhe.
Natürlich gibt es viele verschiedene Formen von Glocken, aber je besser sie in der Lage sind ihre Schwingung, und damit ihren Ton, lange zu tragen, desto enger sind sie in ihrer Grundform mit der Ei-Form verwandt.
Auch bei der Architektur von Räumen lässt sich die akustische Wirkung dieser Form beeindruckend feststellen und wahrnehmen. Es gibt einen recht bekannten Raum in einer sehr bekannten Burg, in dem dieses Konzept umgesetzt wurde und dadurch zu dem ganz besonderen, akustischen Merkmal geführt hat, für den dieser Raum bekannt geworden ist: Die „Gruft“ im Nordturm der Wewelsburg. Das dort gemauerte Gewölbe ist nicht einfach rund, halbkugelförmig, oder gar einem gotisch Spitzbogen nachempfunden. Nein, es ist die stumpfe Wölbung einer Ei-Form. Jeder, der schon einmal dort gewesen ist war mit Sicherheit beeindruckt davon wie lange das Echo von Geräuschen in diesem Raum getragen wird und nachhallt. Wenn man spricht, spätestens wenn man pfeift ist der Hall der Töne noch mindestens 10 Sekunden lang zu hören.
Das ist natürlich nicht so ausdauernd wie bei einer Kirchenglocke, aber trotzdem zeigt allein die Form hier schon eine enorme Wirkung. Man könnte sagen die Ei-Form eignet sich hervorragend um mit Schwingungen in Resonanz zu gehen, sie zu halten, zu verstärken, und auf eine gewisse Art und Weise quasi zu speichern. Es ist eigentlich kein Wunder dass sich der Embryo nahezu aller Tierarten in einem Ei entwickelt.